Ronnie Peterson und der Lotus 79


Der Lotus 77
Der Lotus 77

Wer nach dem Brasilianischen Grand Prix 1976 durch die Boxen von Interlagos ging, konnte neben dem Jubel der Ferrarileute um den Sieger Niki Lauda, auch den Streit des Jahres zwischen den Fahrern und dem Teamchef des Lotus Rennstalls miterleben. Lotus-Chef Colin Chapman hatte seinen Fahrern ein Auto, den Lotus 77, zugemutet, das beide Fahrer für gefährlich und unfahrbar hielten. Sowohl Ronnie Peterson, der seit 1973 bei Lotus war, als auch Mario Andretti der erst 1976 zu Lotus kam, verließen den Rennstall nach dem ersten Rennen. Dass sich beide Fahrer während des Rennens gegenseitig von der Strecke gekegelt hatten, brachte das Fass schlußendlich zum Überlaufen. Da Lotus plötzlich ohne Fahrer da stand, engagierte man den bis dahin unbekannten Fahrer Bob Evans und den Schweden Gunnar Nilsson.

Peterson, der immerhin seine bereits vierte Saison für Chapman fuhr, ging zum MARCH Team von Max Mosley zurück, zu dem Team, wo 1970 seine Formel-1 Karriere begonnen hatte und mit dem er 1971 Vizeweltmeister hinter Jackie Stewart wurde. Mario Andretti ging zunächst zum Parnelli Team, kam aber nach nur zwei Rennen zu Lotus zurück, nicht so Peterson. Er blieb bei March, konnte aber außer seinem fulminanten Sieg in Monza, als er 40 Runden lang Rad an Rad mit dem Tyrrell von Depailler kämpfte, nur einen sechsten Platz in Österreich aufweisen. In Monza 1976 hatte er nach dem Samstagtraining für sein neues Team unterschrieben. Tyrrell sollte für 1977 seine Wahl sein. At least... endlich, wie der Schwede damals sagte. Das Tyrrell Team hatte gerade den berühmten 6-Rad Tyrrell in der Saison 1976 eingesetzt, mit dem man nun auch 1977 weiterhin fahren wollte. Als die neue Saison begann und Ronnie Peterson ständig von dem wesentlich kleineren und leichteren Franzosen Patrick Depailler deklassiert wurde, war Peterson mehr als nur enttäuscht. Außerdem war das Sechsradprojekt in seinem zweiten Jahr ein echter Flop, und so war ein dritter Platz in Belgien Ronnie’s Höhepunkt der Saison. Währenddessen hatte sich Lotus erneut zu einem Spitzenteam entwickelt. Auch wenn noch das eine oder andere Rad wegbrach, konnten die beiden Fahrer Nilsson und Andretti seit Petersons Weggang zusammen sechs Rennen gewinnen. Eigentlich wollte Nilsson gegen Ende 1977 Lotus verlassen, um zum eben neu gegründeten Arrows Team zu wechseln. Leider erkrankte Gunnar Nilsson im Herbst 1977 an Krebs und war daher außerstande 1978 Rennen zu fahren. Als nun der zweite Platz im Lotus Team neben Mario Andretti frei geworden war, reagierte der italienische Versicherungsmillionär Graf Zanon prompt und arrangierte die Heimkehr von Ronnie Peterson zu Lotus für das Jahr 1978. Nach außen hin schien alles perfekt zu sein. Nur die Wenigsten wußten, dass Peterson, der zwei Jahre zuvor Chapman und das Lotus Team über Nacht verlassen hatte, einige Abstriche zu machen hatte, an denen jeder Rennfahrer schwer zu nagen gehabt hätte. Peterson war die absolute Nummer 2. Er durfte Andretti weder überholen, noch ihm Punkte wegschnappen. Nur im Qualifying hatte er freie Fahrt, allerdings mit harten Reifen und vollen Tanks, damit er Andretti die Pole Position nicht streitig macht. Trotz dieses Handicaps schaffte er die Pole in Brasilien, England und Österreich. Glücklicherweise erledigten sich die meisten Probleme, was die Stallorder betraf, von selbst, wenn Andretti zum Beispiel ausfiel oder einen Unfall hatte. Und falls Andretti einmal führte und Peterson Zweiter wurde, fuhr er demonstrativ dicht hinter seinem Teamkollegen Andretti her bis dieser das Rennen gewann, wie zum Beispiel in Zandvoort. Ab dem belgischen Grand Prix 1978, als Lotus den neuen Wunder-Lotus 79 den zunächst nur Andretti fahren durfte, vorgestellt hatte, war die Weltmeisterschaft für alle gelaufen, die keinen Lotus fuhren. Andretti und Peterson fuhren von Erfolg zu Erfolg. Der neue Lotus war wie sein Vorgänger der Lotus 78 mit einem umgekehrten Flugzeugprofil ausgerüstet, dass durch den entstehenden Unterdruck (Venturi-Effekt) den Wagen stark an den Boden drücken sollte, somit die Straßenlage verbesserte und vor allem die Kurvengeschwindigkeiten extrem erhöhte. Beim Lotus 79 wurde dieser Effekt durch seitliche Schürzen, die den Luftkanal zur Seite hin abdichteten, verbessert. Ab dem Großen Preis von Holland war praktisch kein anderer Fahrer mehr in der Lage die beiden Lotus-Fahrer einzuholen. Ronnie Peterson konnte 1978 in Zeltweg und in Kyalami gewinnen. In Südafrika gewann er gegen seinen Vorjahres Teamkollegen Depailler, als er ihn zwei Kurven vor Schluß überholte. Andretti wurde siebter. In Österreich flog Andretti von der Piste und Ronnie gewann vor Depailler das Regenrennen des Jahres. Andretti gewann in Argentinien, Belgien, Spanien, Frankreich, Deutschland und Holland. Meistens dicht auf, der zweite Lotus von Ronnie Peterson. Als beide nach Monza kamen, war klar, dass sie die Weltmeisterschaft 1978 unter sich ausmachen würde. Das Autodromo di Monza war immer schon eine spezielle Strecke von Ronnie Peterson gewesen. 1971 fuhr er den March auf einen phantastischen 2. Platz. 1973, 1974 und 1976 gewann er den Großen Preis von Italien in Monza. Zum ersten Mal seit Jahren bat Ronnie seine Frau Barbro in Monte Carlo zu bleiben und ihn nicht zu begleiten. Der Schwede fuhr alleine nach Monza, hatte ein miserables Training und als schlußendlich sein neuer Lotus nach einem Unfall unreparierbar hinter den Boxen stand, mußte er auf den alten Lotus 78 zurückgreifen. Die Stimmung war am Tiefpunkt angekommen, und als der Schwede abends im Hotellift auf seinen alten Gefährten Giacomelli aus MARCH-Zeiten traf, meinte er noch, dass morgen beim Rennen alles anders werden würde und er kein gutes Gefühl habe. Sonntag Mittag ging er zu einem Freund und sagte zu ihm > I must go..<. Möglicherweise hatte Ronnie Peterson geahnt, dass er einen Unfall haben wird, dass die Weltmeisterschaft verloren ist, oder was auch immer. Jedenfalls war er äußerst beunruhigt. Wenige Stunden vor dem Rennen verschwand er im Wohnwagen des McLaren Teams, um dort für 1979 einen Vertrag zu unterzeichnen. Peterson, der die Demütigungen Chapmans nicht länger ertragen konnte, wollte einfach nur weg von Lotus.

Zum Start in Monza. Wie schon in den Jahren 1974 und 1975 hatte der Starter, ein inzwischen greiser Italiener namens Restelli, die Startampel viel zu früh von rot auf grün geschaltet. Die vorne stehenden Wagen standen schon still, währen die weiter hinten in der Startaufstellung stehenden Wagen noch mit Tempo 50 auf Ihre Position zu rollten. Als dann die Ampel auf grün geschaltet wurde, raste das Feld auf die erste Schikane zu. Auf Grund des zu früh gegebenen Grünlichts und des Nachteils der Fahrer in den vorderen Startreihen, die zuvor zum Stillstand gekommen waren, bildete sich in der Feldmitte eine Ansammlung von Autos, die auf Höhe der Einmündung in die alte Steilkurve, kurz vor dem Bremspunkt zur ersten Schikane zusammenstießen. Hunt, Patrese und Peterson kollidierten, der Lotus von Peterson wurde in die Leitschienen geschleudert und fing sofort Feuer. Noch während der Lotus von Peterson brannte, stürzen sich Depailler und Hunt in die Flammen um den Schweden aus den brennenden Lotus zu bergen. Zunächst schien alles halb so schlimm, da Peterson bei Bewußtsein war, und außer leichten Verbrennungen “nur“ einen komplizierten Beinbruch hatte. Von den wegfliegenden Rädern getroffen wurde auch Vittorio Brambilla, der regungslos in seinem Surtees aufgefunden wurde. Beide wurden in ein Mailänder Krankenhaus gebracht, wo man bei Brambilla einen Schädelbruch und bei Peterson einen komplizierten Beinbruch diagnostizierte. Das Unfassbare war, dass die Operation von Peterson im italienischen Fernsehen gesendet wurde! Am Abend, nachdem Peterson operiert war, kam ein Chirurg in die Mailänder Klinik, der Peterson noch einmal operieren wollte. Bei diesem zweiten, unnötigen Eingriff gelangte versehentlich Knochenmark des Patienten in den Blutkreislauf, was zu einer Fettembolie führte. Peterson starb noch in der Nacht nach dem Rennen. Niki Lauda, selbst 1972 Teamkollege von Peterson, meinte erst vor kurzem, dass das Tragische an Ronnie‘s Unfalltod sei, dass er gewußt hatte, das es an jenem Sonntag in Monza passieren würde. Wenige Wochen später starb auch Gunnar Nilsson, der zweite Fahrer, den Schweden damals in der Formel 1 hatte. Er hatte den Kampf gegen den Krebs verloren. Nach dem Rennen in Monza ermittelte die Staatsanwaltschaft Mailand noch bis 1981 wegen der Vorfälle im Grand Premio d‘ Italia. Graf Zanon verhalf inzwischen einem jungen Italiener in die Formel 1 zu kommen. Der junge Mann war Michele Alboreto. Alboreto war ein Fan von Ronnie Peterson und hat deshalb stets seinen Sturzhelm in den Farben des Schweden gehalten. Wie sein Idol starb auch Alboreto 2001 bei einem Unfall. Petersons Platz bei McLaren bekam der Ire John Watson, an dessen Seite man von nun an auch Peterson’s Witwe, Barbro wiederfand. 1987, neun Jahre nach der Tragödie von Monza, nahm sich Barbro Peterson das Leben. Sie hatte den Verlust von Ronnie Peterson nie verkraftet.

 

Stefan Schmidt